Sonntag, 31. August 2008

Ich sitze wie eine Katze auf der Fensterbank und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen.
Das ist wie Wärme atmen und lustig mit den Füßen wackeln.

Der Sommer durchzieht jedes Zimmer. Du hörst es an der Musik, siehst es in den Gesichtern und bist umgeben von diesem frischen Duft. Überall ist Licht und Luft und Sonnenschein.

Gib mir noch einen Kuss, du prachtvolle Welt, ich nehm ihn sogleich mit in die Dunkelheit.

Freitag, 15. August 2008

konserviert

Ich dringe langsam vor. Hinter den verstaubten Barrikaden verbergen sich Ordnerweise abgeheftete Erinnerungen. Minutiös eingetütete Dokumentationen meines Wirkens und Seins, als solle mein ganzes Leben noch einmal nachgestellt werden, irgendwann.
Interessante Artikel aus Zeitschriften (deren Inhalt ich ja sonst vergessen könnte), Eintrittskarten von Konzerten, Theaterbesuchen, Lesungen. Und passend dazu gesammelte Zeitungsausschnitte, Prospekte und Bilder dieser Abende.
Alles ist chronologisch in Klarsichthüllen einsortiert. Kein Erlebnis soll mir jemals verloren gehen.
Ich schau sie mir an und denke: Da bist du gewesen? Das Vergessen hat also bereits eingesetzt.
Lieber ersticke ich am ständig wachsenen Archiv meines Lebens.

Neben Briefen, die man mir schrieb, habe ich meine vollständigen Antworten in Kopie abgeheftet. Weil die so genial sind, bewahre ich sie auf. Ein Ordnermeer, das ich seit Jahren nur noch bei Umzügen angerührt habe, offenbart Zettelchen und Nachrichten von Menchen, die mir einmal wichtig waren.
"Bin gleich zurück, Kuss". Wie könnte ich ein solches Kleinod vernichten, ist es doch ein Beweis von Liebe in meinem Leben? Soll man große Gefühle einfach dem Strudel des Vergessens überlassen? Vielleicht werde ich eines Tages einsam sein und nicht mehr wissen, wie sehr man mich geliebt hat.

Rechnungen, verzierte To-Do-Listen, beschriebene Servietten. Ein Brief von der Nachbarin, wir sollen die Flurtreppe wischen. Mein ironischer Dank für ihre Zeilen, weil sie ja so aufmerksam über den hygienischen Zustand unseres Treppenhauses wacht.

Jedes Fitzelchen von Reisen, zehn Jahre alte Festivalguides, kostenlose Zeitschriften von 2001 und aus meiner Berliner Phase (mit Filmen und Prominenten, die damals aktuell waren - es war auch eine sehr wichtige Zeit für mich). Der Spiegel, Focus, Geo, P.M., jahrelange Player-Ausgaben, denn ihre Filmkritiken gefielen mir am besten. Und wenn etwas toll ist, bewahre ich es eben auf. Für die Ewigkeit. Dabei kann ich nur schwerlich zwischen Müll und Kostbarkeit unterscheiden. Der ideelle Wert kennt bei mir keine Abstufungen.

Seit diese Entwicklung mir langsam Angst gemacht hat, verhindere ich die Vermehrung, indem ich z.B. gar keine Zeitschriften mehr kaufe. Jetzt gehen mir deren Informationen auch verloren. (Genauso könnte ich mich jetzt von meinen aufbewahrten Exemplaren trennen.) Aber trotzdem ist dieser Verlust irgendwie nicht so schlimm. Sie gehören ja noch nicht zu mir. Ich habe sie noch nicht "angenommen", keine scheinbar emotionale Bindung zu ihnen aufgebaut.

Ich kann über die Kartons mit den Zeitschriften sagen: Entweder ich habe sie noch gar nicht gelesen oder sie waren derart gut geschrieben, dass ich sie niemals mehr missen möchte. Dabei kann ich es einschätzen: Leider werde ich weder die Zeit zum Lesen finden, noch bietet sich mir jeglicher Überblick, falls ich irgendetwas darin wiederfinden wollte.
Obwohl ich das klar formlulieren kann, geb ich sie nicht her. Als ob mir dazu noch eine weitere, allerletzte Überlegung fehlt. Die Erklärung für den gelebten Widerspruch. Damit ich es verstehe. Ein Schalter im Kopf und schon würde ich loslassen können. (Insgeheim hoffe ich natürlich auf die Zeit, in der ich alles in Ruhe durchgehen, endlich lesen und das Wichtigste eintüten kann.)

"In neunundneunzig Fällen von hundert lohnt es sich nicht, ein Ding aufzubewahren. Es nimmt nur Raum fort, belastet dich; hast du schon gemerkt, dass du nicht die Sachen besitzt, sondern dass sie dich besitzen?"
Kurt Tucholsky, 1930